Das agile Mindset ist eine Sicht- & Denkweise bzw. Haltung, die von Agilität geprägt ist. Man kann auch sagen: ein Mindset ist unser spezieller Sichtweise auf die Welt. Das agile Mindeset ist also die agile Brille, durch die wir die Welt wahrnehmen. Es ist eine fundamental wichtige Basis für agile Frameworks und Ansätze. Aber wo bekomme ich so ein Mindset her? Beim agilen … Optiker?
Vor dem Wie, erstmal das Warum & Was genauer
Ein Mindset ist wichtig, weil es unsere Denkmuster, Überzeugungen und Handlungsweisen beeinflusst. Es bildet die Grundlage für unsere Einstellungen und Verhaltensweisen. Im agilen Kontext ermöglicht das agile Mindset den Menschen, die Prinzipien und Werte agiler Methoden zu internalisieren (d.h. es in ihren persönlichen Wertekanon aufzunehmen) und in ihren täglichen Aufgaben umzusetzen. Es schafft die langfristige Grundlage für den Erfolg agiler Produkte und Initiativen, da es den Menschen hilft, sich an niemals endende Veränderungen anzupassen, effektiv zu kommunizieren, gemeinsam zu arbeiten und sich auf gemeinsame Ziele zu fokussieren (Alignement).
Das agile Mindset ermöglicht uns den schnellen Ausbau der folgenden Fähigkeiten (Capabilities):
- Flexibilität und Anpassungsfähigkeit: Es hilft dabei, schnell auf Veränderungen zu reagieren und Prioritäten anzupassen.
- Kollaboration und Teamarbeit: Es fördert eine Kultur der Zusammenarbeit, in der Teammitglieder ihr Wissen und ihre Fähigkeiten teilen, um gemeinsam bessere Ergebnisse zu erzielen.
- Kontinuierliches Lernen: Es ermutigt dazu, aus Erfahrungen zu lernen, Feedback zu nutzen und sich kontinuierlich zu verbessern.
- Eigenverantwortung und Empowerment: Es ermöglicht den Teammitgliedern, selbständig Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für ihre Arbeit zu übernehmen.
- (Nicht universal gültig) Fokus auf Kundenzufriedenheit: Es lenkt die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden, um Produkte oder Dienstleistungen zu liefern, die einen echten Mehrwert bieten. Es gibt auch Fälle. in denen die Monetarisierung über der Kundenzufriedenheit steht. Meistens am Ende des Produktlebenszyklus oder bei einer „Cashcow“/abschöpfenden Produktstrategie.
Bitte nicht verwechseln mit dem Scheinargument: „am Ende geht’s doch immer nur um den Umsatz & Gewinn“. In Kurz: Umsatz etc. ist Output. Um diese Aussage nachzuvollziehen hilft googeln, weil bereits x mal diskutiertes Standardthema.
Beobachtbare Handlungen („Talk is cheap“)
Wie kann ich bei mir und anderen feststellen ob sie das agile Mindset haben? Ganz einfach: die Aussagen und Handlungen basiert auf den Prinzipien des Agilen Manifests. Das heißt wenn wir ein agilen Mindeset haben, dann zeigen wir in der täglichen Arbeit:
- dass Menschen und Interaktionen uns wichtiger sind als Prozesse und Werkzeuge
- dass funktionierende Software uns wichtiger ist als umfassende Dokumentation
- dass die Zusammenarbeit mit dem Kunden und Stakeholdern wichtiger ist als Vertragsverhandlungen
- und dass uns die schnelle Anpassungsfähigkeit wichtiger ist als das strikte Festhalten an einem Plan
Das ist also nicht schwer zu beobachten. Unsere Haltung bestimmt unsere Handlungsweise, und auch der Umkehrschluss ist korrekt: an unserer Handlungsweise können wir und andere unsere Haltung bzw. unser Mindset ablesen.
Für jedes gute, aber einfacher Modell gibt es natürlich Ausnahmen, so auch hier:
- wir sind komplett fremdgesteuert – unsere Haltung ist dann vielleicht auch agil, aber leider auch egal.
- Wir nehmen uns vor, agil zu handeln, aber handeln tatsächlich anders. Das ist eine typische psycholgische Fallegrube: wir beurteilen uns nach unseren Vorsätzen und Zielen, andere aber nach ihrer tatsächlichen Handlungen.
Mich selber ändern
Wie kann ich das agile Mindset bekommen?
- Setzte dir einen Bereich als Ziel, z.B. „ich möchte Individuen und Interaktion vor Prozessen leben“
- dann – am einfachsten mit einem Coach J – beobachte laufend (und reflektiere) was Du tatsächlich tust
- und dann ändere in Micro Steps deine Gewohnheiten
Habbit Forming kann Veränderungen bewirken, erzeugt dabei aber nur einen geringen Overhead für den Change Prozess. Das ist sehr effizient.
Der Ansatz „Gewohnheiten ändern“ nennt man auch Habbit Forming. Er ist deshalb wichtig, weil wir sehr häufig einfach „auf Autopilot“ laufen. Gewohnheiten sind ein Mechanismus, um wertvolle und anstrengende Gehirnarbeit zu vermeiden. (Lesetipp: Das Buch „Schnelles Denken, Langsames Denken“ von Kahn erklärt diesen Ansatz im Detail). Außerdem: „einfach gute Vorsätze fassen“ überlebt den Morgen nach Sylvester meistens nicht. Deshalb ist ein (Mini-) Changemodel sinnvoll.
Es gibt noch weitere Ansätze, wie man sich eine agiles Mindset aneignen kann bzw. sein vorhandenes Glauben- und Wertesystem anpassen kann. Der Habbit Forming Ansatz ist aber gerade zu Beginn schnell, einfach und wirksam.
Andere abholen
Wie kann man Menschen abholen, die keine agiles Mindset haben, aber „haben sollen“? Dieses Szenario entspringt normalerweise der Erwartungshaltung einer Führungskraft an Mitarbeiter. Manchmal möchten auch Teams ihre Stakeholder bzw. Anwender oder auch Kollegen während der partnerschaftlichen Zusammenarbeit, formell, aber vor allem auch bei der informellen Zusammenarbeit verändern. Gerne möchten auch Scrum Master solche Veränderungen herbeiführen.
Ich habe ein paar Überzeugungen, die hier relevant sind.
Glaubensätze bei der Veränderung von Anderen
Der erste Glaubenssatz: wir können keinen Menschen ändern, jeder von uns kann sich nur selber verändern. Ähnlich dem Satz: man kann keinen Menschen dauerhaft motivieren.
Der zweite Glaubenssatz: Menschen ändern sich nur dauerhaft, wenn es ihnen einen persönlichen Vorteil bringt (Das WIIFM Prinzip – der Begriff ist google-fähig)
Zum „jeder kann sich nur selber ändern“ Punkt: ja, und wir können Impulse setzen, begleiten, fördern, und hinterfragen. Aber direkt ändern: das geht leider nicht.
Was ist mit WIIFM?
Der Vorteil für den Einzelnen sind die gleichen Vorteile wie für das Team oder die Organisation. Die Vorteile des agilen Mindsets liegen in seiner Fähigkeit, auf Veränderungen und Unsicherheiten flexibel zu reagieren. Es fördert eine Kultur der Offenheit, des Vertrauens, der Zusammenarbeit und des kontinuierlichen Lernens. Durch das agile Mindset werden Teammitglieder dazu ermutigt, eigenverantwortlich zu handeln, kreative Lösungen zu finden, schnell zu experimentieren und Feedback zu nutzen, um sich kontinuierlich zu verbessern. Dies führt zu einer höheren Produktivität, Qualität und Kundenzufriedenheit.
Sind das auch meine beruflichen Ziele für meine Arbeitsweise? Warum würde ich das nicht wollen?
Dennoch gibt es auch Herausforderungen im Zusammenhang mit dem agilen Mindset. Einige Menschen sind möglicherweise nicht bereit, traditionelle Denkweisen und Arbeitsweisen aufzugeben. Es erfordert ein hohes Maß an Offenheit, Flexibilität und Veränderungsbereitschaft. Zudem müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lernen, mit Unsicherheiten umzugehen und Entscheidungen in einer sich schnell verändernden Umgebung zu treffen.
Rahmenbedingungen fördern oder behindern das Erlangen des Mindsets
Es kann herausfordernd sein, das agile Mindset in Organisationen zu etablieren, die eine hierarchische Struktur und starre Prozesse haben. Hier trifft häufig eine stark vorausplanende Unternehmenskultur ohne Fehlerkultur, Freiräume für Experimente und ausreichenden Entscheidungsräume auf Arbeitsebene (Autonomie) auf Hyper-Flexibilität und Selbstbestimmung.
Da fast alle Organisationen selbst erhaltende System sind, wird das System diesen kulturfremden Einfluss beobachten und eine Weile „auf Besserung hoffen“. Lentztendlich wird die Störung durch Governance und Regeln „behoben“. Das ist gut und normal, zeigt aber auch die Grenzen von „Veränderungen von unten“ (Grassroot Initiativen) auf. Hier fehlt häufig eine Change Modell als Vorgehensmodell in der Transformation auf allen Ebene. Dahinter steht häufig die Wahrnehmung, dass Agilität ein Arbeitsprozess oder reines Werkzeug ist, und nicht eine umfassende Kulturveränderung inkl. Haltungsänderung.
Agil als Killerargument
Agil und der Begriff Agiles Mindset sind seit mindestens 25 Jahren bekannt. Jemand anderm mit „agil“ zu kommen, ist wahrscheinlich ein alter Hut, der auch noch „jedem passt“. Ein der häufigsten Aussagen ist „wir waren ja eigentlich schon immer agil“. Nein, wart ihr nicht, aber dafür fehlt es a. an einer Definition, und b. an Interesse an einer Definition.
Für eine Einstiegsdiskussion über „agiles Mindeset“ bietet sich daher an, nicht mit dem Begriff als Killerargument zu kommen, sondern über die dadurch bedingten Handlungen zu sprechen. Diese zahlen auf bestimmte Ziele und Prinzipien ein. Der eine oder andere kann es sich denken: es sind agile Werte (wie bei z.B. im Scrum Framework sehr explizit genannt und danach entworfen). Die Prinzipien sind Komplexität, Empirie, und der Deming bzw. PDCA Zyklus. Was genau man nun mit Agilität und damit mit der Integration eines agilen Mindset bewirken möchte ist durchaus unterschiedlich.
Mögliche Ziele & Outcome
Eine relativ einfache Zusammenstellung bietet die 9 Ziele des Path2Agility Modells. Diese Ziele hat das Modell sicher nicht erfunden, aber fasst sie inkl. Definition sehr gut zusammen. Mein Tipp: einfach 2-3 davon auswählen, versuchen diese zu erreichen, und wenn „es nicht besser wird“ einfach zu anderen Zielen pivotieren. Damit kommt man als Organisation schon mal 2-5 Jahre weit. Für mehr Informationen zu Path2Agility einfach googeln. Tipp: der 1 Tageskurs dazu lohnt übrigens nur, wenn man nicht mehr als einen ersten Überblick haben möchte.